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											Karlheinz Kellert: Mein(e) Comrades Marathon 2000 | 
										 
									 
    
    
    
    
    „Tell the world, what a 
wonderful race we have!“ 
(Berichte der Welt über unser wundervolles Rennen!) 
Abschiedsauftrag unseres Gastgebers, Warren Lloyd, 
Roseland Guest House, Durban. 
 
 
Prolog im Himmel: Der Pakt von Bad 
Arolsen 
  
Unsere Reise zum
Comrades wurde beim 
Advent-Wald-Mararthon am 1. Advent 1999 in Bad Arolsen geboren. Auf einem 
Glühweinstand des Weihnachtsmarktes versuchte Josef mich nach dem dritten oder 
vierten Glühwein mal wieder für den 24-Stunden-Lauf in Wörschach zu gewinnen, 
dem ich mich bislang erfolgreich verweigert habe. Es mag dem Glühwein 
zuzurechnen zu sein, dass ich dem Werben mit dem Vorschlag begegnete, in 
Wörschach zu starten, wenn er mit mir vorher den 75. Comrades im Juni 2000 
bestreiten würde, der seit einem Bericht von Uwe Ellger in Spiridon 08/1998 mein 
sportliches Traum-ziel war. So begann der erste Teil unseres Abenteuers, der 
zweite Teil folgt im Juli in Wörschach, Steiermark. 
 
 
Unsere Gruppe 
  
Endlich sind wir in Durban angekommen. 
Veranstalter unserer Reisegruppe sind Rosi und Uwe Ellger von AustrAsia Tours. 
Uwe ist ein großer Comrades-Fan, der bereits zwei Rennen erfolgreich absolviert 
hat. Er startet auch in diesem Jahr und strebt wie im Vorjahr mit einer Zeit 
unter 7.30 eine Silbermedaille an. Unsere Gruppe setzt sich aus 20 Läufern-Innen 
und 6 Begleiterinnen zusammen. Das Leistungs- und Erfolgsspektrum der 
Läufer-Innen wird von den Marpingern Tanja Schäfer und Rainer Müller angeführt, 
die beide in den letzten Jahren die Deutschte Meisterschaft über 100 km 
abonniert haben und mit ihren hervorragenden Zeiten auch in Südafrika Aufsehen 
erregen. 
  
Eine weitere bekannte Persönlichkeit ist 
Manfred Steffny, ehemals deutscher Spitzen-Marathonläufer und Herausgeber der 
Lauf-Fachzeitschrift „Spiridon“. Manfred erinnert sich noch an einen Besuch 1990 
bei meiner guten alten Freundin Antje in New York, wo er sich ein Fahrrad 
ausgeliehen hat, um verbotenerweise seinen Bruder Herbert beim New York Marathon 
vom Rad aus zu coachen. (Antje lebt heute mit Richard in Darwin, Australien.) 
Manfred möchte seinen ersten echten Ultralauf mit einer Zeit unter 7.30 Stunden 
bestehen, um eine Silbermedaille mitzunehmen. 
  
Der Rest der Gruppe setzt sich aus 
erfahrenen UltraläufernInnen zusammen, denen Läufe wie Rennsteig, Biel, Swiss 
Alpin, Jungfrau-Marathon etc. aus eigener Erfahrung vertraut sind. 
Interessanterweise dominiert in der Altersverteilung eindeutig die Master-Klasse 
(50-59 Jahre). 
 
 
Unsere Guest Houses 
  
Unserer Gruppe ist in den beiden 
Gästehäusern „Chelsea Villa“ und „Roseland House“ im Villenviertel von Durban 
untergebracht. Die Häuser sind stilvoll und sehr komfortabel eingerichtet. 
Sofort entwickelt sich ein freundschaftliches Verhältnis zu den Gastgebern. 
Warren Lloyd vom Roseland House ist ein erfahrener und erfolgreicher 
Comrades-Läufer, der mit einer Bestzeit unter 7.30 Stunden eine Silbermedaille 
aufweisen kann. In diesem Jahr wird seine Frau Delia teilnehmen . Warren 
konzentriert sich zusammen mit Neville vom Guest House „Chelsea Villa“ auf die 
Betreuung der Gastläufer und Begleiterinnen. Die Gastfreundschaft, die wir in 
unseren Gästehäusern und auch sonst überall in Südafrika erfahren haben, ist 
beeindruckend. 
 
 
Die Streckenbesichtigung 
  
Zwei Tage vor dem „Race Day“ wird den 
internationalen Läufern per Autobus eine Streckenbesichtigung unter äußerst 
fachkundiger Führung angeboten. Alison West, Chairman der Comrades Marathon 
Association, hat es sich nicht nehmen lassen, die internationalen Teilnehmer 
persönlich zu begrüßen. Alison West treffen wir spätestens am Ende des Rennens 
wieder, denn es ist Aufgabe des Chairmann, das Rennen nach Ablauf der Zeit mit 
dem Rücken zu den einlaufenden Runnern abzuschließen. Der Ehemann von Alison 
West, selbst vielfacher Teilnehmer, begleitet unsere Besichtigung mit seinen 
fachkundigen Kommentaren, ins Deutsche übersetzt von Peter Löffler, ein nach 
Kapstadt ausgewanderter Deutscher und inzwischen zehnfacher Comrades-Teilnehmer. 
  
Unsere Gruppe nimmt geschlossen an der 
Streckenbesichtigung teil. Trotz oder vielleicht auch wegen aller Erfahrungen 
erzeugen die Eindrücke und Informationen der Strecken-besichtigung einen großen 
Respekt und lösen bei einigen ein Überdenken oder gar eine Korrektur der 
persönlichen Ziele aus. 
  
Mir bereitet die Strecke keine Angst. Ich 
habe mich über ein halbes Jahr gut vorbereitet und meine fehlende 
Grundschnelligkeit mit fast 3.000 Laufkilometern und 2.500 Radkilometern 
kompensiert. Aus dem Training heraus bin ich 4 Marathons gelaufen (zwischen 3.42 
und 3.52) und habe im Mai an vier aufeinanderfolgenden Wochenenden Einheiten von 
50 km bis über 60 km recht problemlos bewältigt. Der letzte Test am 1.6.2000 war 
ein profilierter Lauf über 63 km „Rund um Aachen“, hervorragend organisiert vom 
DLC Aachen, bei dem ich gegen Ende immer stärker wurde. Jetzt fühlte ich mich 
reif für eine Zeit unter 9 Stunden. 
  
Im Zielbereich angekommen, sind wir im Zelt, 
das für die „Internationales“ reserviert ist und auch nach dem Rennen unser 
Treffpunkt sein wird, zu Kaffee und Kuchen von Porzellangeschirr (!) geladen. 
Anschließend besteht noch Gelegenheit zum Besuch des Comrades-Hauses, in dem die 
für einen Lauf sehr lange Geschichte des Comrades-Marathon in vielen Dokumenten 
und Erinnerungsstücken präsent ist. Bei dieser Gelegen-heit statten sich Josef 
und ich mit einem Glasperlenkettchen aus, das bis zum Ende unserer Reise unser 
Talisman werden sollte, schließlich braucht man neben Trainingsfleiß auch etwas 
Glück. 
 
 
Pasta Party 
  
Rosi und Uwe haben für unsere Gruppe einen 
Tisch in dem italienischen Restaurant „Villa d´Este“ in unserem Wohnviertel 
reserviert. Nach diversen Antipisti entscheiden sich die meisten Läufer als 
Hauptgang für ein Nudelgericht, während sich die nicht laufenden Begleiterinnen 
auf die Fleischgerichte konzentrieren. Als Getränk dominiert eindeutig Bier, 
lediglich unsere Spitzenläufer beschränken sich auf nicht-alkoholische Getränke. 
Der Rest der Gruppe scheut auch nicht vor einem Glas des ausgezeichneten 
südafrikanischen Weines zurück. Schließlich werden dem Wein viele positive 
Effekte nachgesagt und außerdem wollen wir ja gut hydriert an den Start gehen. 
 
 
Am Wettkampfmorgen 
  
Um 3.00 beendet der Wecker nach einer kurzen 
und unruhigen Nacht den Schlaf. Bekleidung und Ausrüstung liegen schon bereit. 
Um 3.30 Uhr gibt es ein leichtes Frühstück in unserem Guest House. Um 4.00 Uhr 
verabschiedet uns Warren, unser Gastgeber, mit den besten Wünschen. Im Zielraum 
wird er uns erwarten. Wir werden von einem Taxi abgeholt und fahren mit dem Rest 
der Gruppe und Neville zum Startraum. Das letzte Stück ist für den Verkehr 
gesperrt und muß unter der Führung von Neville zu Fuß zurückgelegt werden. Nach 
einer letzten Einweisung durch Uwe Ellger bewegt sich jeder in Richtung des 
zugewiesenen Startsektors. Die Eliteläufer starten in Sektor A, für mich ist es 
der Sektor C, Josef geht in Sektor B. Wir verabschieden uns mit den Wünschen für 
einen guten Lauf. 
 
 
Der Start 
  
Es ist Nacht, aber die Straßen sind hell 
beleuchtet und für die Fernsehkameras durch zusätzliche Lichtmasten 
ausgeleuchtet. In meinem Sektor ist es bereits sehr voll, so dass ich ganz 
hinten an der Grenze zum Sektor D stehe, was beim Start noch einmal zusätzlich 
Zeit kosten wird. Die Stimmung wird durch Musik und Ansagen angeheizt. In den 
letzten Minuten vor dem Start werden die Sektorsperren aufgehoben, und das 
Läuferfeld bewegt sich weiter in Richtung Ziellinie. Nach den Vorinformation 
wird der Start traditionell durch einen Hahnenschrei eingeläutet, auf den dann 
der eigentliche Startschuß erfolgt, der gleichzeitig aus einer Pistole und aus 
einer Kanone abgegeben werden soll. Zusätzlich soll eine Leuchtrakete 
aufsteigen. 
  
Erwartungsgemäß ertönt über die Lautsprecher 
der Hahnenschrei, aber auf das Startsignal warte ich vergeblich. Statt dessen 
setzt laute Rockmusik mit dem Titel „Get Ready“ ein. In das Feld kommt jetzt 
Bewegung. Ich muß den Startschuß überhört haben und beschließe, meine Uhr erst 
zu drücken, wenn ich über die Startlinie gehe. Ich erinnere mich an den Start in 
New York, dort sind wir auch mit Musik gestartet (Vivaldis „Vier Jahreszeiten“), 
und der Böller aus der Startkanone war nicht zu überhören. 
  
Nach geschätzten 2 Minuten habe ich die 
Startlinie erreicht, drücke meine Uhr und muß aufgrund des dichten Läuferfeldes 
vorerst noch ein Stück gehen. Da es keine Netto-Zeitmessung gibt, belastet der 
Start das Zeitkonto, aber ich denke auch an den Vorteil, dass ich nicht Gefahr 
laufe, zu schnell zu beginnen. Der Rennverlauf entscheidet sich ohnehin erst auf 
den letzten 20-30 km. 
  
Da die Temperatur beim Start ca. bei 20 Grad 
liegt, haben sich die meisten Läufer unnötigerweise mit zusätzlichen T-Shirts 
und z.T. auch Plastiksäcken ausgestattet, die sie nun loswerden müssen. Für die 
T-Shirts gibt es dankbare Abnehmer am Straßenrand. Langsam kommen wir auch in 
einen Lauftrab. Wir bewegen uns auf einer Schnellstraße stadtauswärts und 
verabschieden uns in die Dunkelheit der Nacht. Bis zur Dämmerung wird es noch 
etwa 1 Stunde dauern. 
  
Unsere Begleiterinnen werden sich die 
Fernsehübertragung des Starts in den Guest Houses anschauen, anschließend 
frühstücken und dann unter Leitung von Neville und seinem Sohn an die Strecke 
fahren. Der erste Haltepunkt soll ca. bei km 30 sein. Die Gruppe will mit einer 
Deutschlandfahne auf sich aufmerksam machen. 
 
 
Die erste Rennhälfte 
  
An der Grenze des Ortskerns beginnen die 
ersten leichten Steigungen. Überall stehen Menschen, die uns applaudieren und 
aufmunternde Appelle zurufen. Die Tempogestaltung ist auf den ersten Kilometern 
nur nach Gefühl möglich, weil keine Marken zu erkennen sind. Als ich die erste 
Kilometermarke sehe, zeigt sie 78 km an (die Strecke wird abwärts gezählt!), wir 
sind also schon gut 9 km unterwegs. Ich beschließe, wegen der profilierten 
Strecke die Zwischenzeitmessung auf 5km-Splits zu beschränken und damit bei 75 
km zu beginnen. Bei 77 km schaue ich auf die Uhr und sehe, dass ich ab der 
Startlinie für die ersten 10,3 km 1.03 Stunden gebraucht habe. Demnach dürfte 
ich mich jetzt in einem Tempo von 6 Min/km befinden und befinde das für o.k. Bei 
70 km erhalte ich mit fast genau 30 Minuten die Bestätigung. 
  
Ich überhole viele LäuferInnen, die aufgrund 
ihrer Startnummer eigentlich in Sektoren hinter mir starten mußten, aber es 
geschafft haben, sich irgendwie nach vorne zu mogeln. Das ist zwar nicht fair, 
weil sie sich einen Vorteil verschaffen, aber die Versuchung ist natürlich 
aufgrund der Brutto-Zeitmessung groß und auch verständlich. 
  
Mein Form- und Körpergefühl ist indifferent. 
Das Laufen fällt mir weder leicht noch schwer. Meine Schwachstellen Knie, Hüfte, 
Achillessehne sind unauffällig. Inzwischen wird es auch hell, und es geht in den 
Anstieg zu Cowie´s Hill, dem ersten der „Big Five“. Ich kontrolliere die 
Belastung über eine betont ruhige Atmung und komme trotzdem offensichtlich gut 
voran, denn ich laufe an vielen anderen vorbei. 
  
Nach Cowie´s Hill verlieren wir bis zur 
Ortschaft Pinetown fast wieder 100m Höhe. In Pinetown sind früh morgens bereits 
viele Menschen auf den Beinen, die nicht nur dem Rennen zuschauen, sondern auch 
die Läufer unterstützen und aufmuntern. Bald nach Pinetown beginnt der lange und 
scheinbar nicht endende Anstieg nach Field´s Hill, dem zweiten der „Big Five“. 
An der Strecke campieren und picknicken viele Gruppen, die z.T. schon am 
Vorabend angereist sind und jetzt die Läuferkarawane an sich vorbeiziehen 
lassen. Ich stelle mir vor, daß die Atmosphäre bei der Tour der France ähnlich 
sein muß. 
  
Die internationalen Läufer sind an der 
Startnummer zu erkennen. Ich werde auf der Strecke oft angesprochen, man klopft 
mir auf die Schulter und wünscht mir „enjoy the race“. 
  
Nach etwa 3 Stunden Laufzeit konzentriere 
ich mich stärker auf die Zuschauer am Straßenrand und halte Ausschau nach einer 
Deutschlandfahne. In der Tat sehe ich bald auf der linken Straßenseite die 
deutschen Farben. Ich laufe hinüber und erkenne unsere Begleiterinnen. Ich bin 
unter meiner Mütze nicht so leicht auszumachen und rufe ihnen zu. Sie winken und 
rufen erfreut zurück. 
  
Der Anstieg nach Botha´s Hill, dem dritten 
der „Big Five“ ist kürzer aber giftig. Der nachfolgende Abschnitt bis zur „Half-Way-Marke“ 
bei Drummond ist ein ziemlich anspruchsvoller Wechsel von An- und Abstiegen. 
Viele Läufer müssen bereits gehen. Ich habe bisher keinerlei Probleme. Meine 
5km-Splits haben sich inzwischen bei ca. 29 Minuten eingependelt, womit ich 
zufrieden bin. Damit müßte ich zur Hälfte etwa bei 4.20 Stunden landen. Da die 
zweite Hälfte leichter ist, kann sie unter optimalen Bedingungen schneller als 
die erste Hälfte gelaufen werden. Das Ziel, eine Zeit unter 9 Stunden zu 
erreichen, um die ersehnte Bronzemedaille mit Silberrand zu erhalten, wird 
langsam real. 
  
Tatsächlich zeigt meine Uhr bei der 
Half-Way-Marke in Drummond 4.17 Stunden. Da ich ja erst auf der Startlinie 
abgedrückt habe, dürfte ich ziemlich genau auf 4.20 Stunden liegen. Ich habe 
alles unter Kontrolle und gehe optimistisch in die zweite Hälfte. Allerdings 
ver-misse ich das „Runner´s High“, das oft bei Ultraläufen über die Strecke 
hilft. Wahrscheinlich ist der Kurs zu unrhythmisch, um einen meditativen 
Gleichgewichts-Zustand zu erreichen. 
 
 
Die zweite Rennhälfte 
  
Nach der Halbzeit bei Drummond liegt vor uns 
liegt der lange Anstieg zum gefürchteten Inchanga, dem vierten der „Big Five“. 
Die Strecke ist gut einzusehen und ich blicke auf die lange Steigung, auf der 
sich vor mir die Läuferkarawane inzwischen relativ langsam bewegt. Die meisten 
Läufer gehen oder wechseln zwischen Gehen und Trab. Ich habe mit der Steigung 
kein Problem und komme gut voran. Die Unterstützung durch das Publikum ist 
phantastisch, vergleichbar nur mit den legendären Alpenetappen der Tour de 
France. 
  
In der Tat fällt mir die zweite 
Steckenhälfte bisher leichter. Ich laufe locker, keine Anzeichen von Ermüdung 
oder Beschwerden. Ohne den Druck zu erhöhen, liegen meine 5km – Splits nun bei 
27.30 Minuten, d.h. ich laufe einen Schnitt von 5.30 Min/km. Wenn ich das 
durch-halte, ist eine Endzeit von unter 8.30 Stunden wahrscheinlich. Ich bemerke 
eine gewisse Euphorie, versuche aber, nicht schneller zu werden. Wenn ich alles 
richtig gemacht habe, will ich erst auf den letzten 15 km forcieren; vielleicht 
ist dann sogar eine Zeit unter 8.20 Stunden möglich. Wir laufen jetzt auf dem 
einzigen flacheren Abschnitt von etwa 5-6 km, auf dem es relativ ruhig zugeht.
 
 
 
Comrade Josef 
  
Wie mag es jetzt meinem Laufkamaraden Josef 
gehen? Er ist nicht sehr optimistisch gestartet. In der Vorbereitung haben sich 
immer wieder Beschwerden eingestellt, die das Training gestört haben. Sorgen 
bereiten ihm besonders die diagnostisch diffusen Knie- und Fußschmerzen. Zudem 
ist Josef eher ein Bergab-Läufer, während ich mich als Bergauf-Läufern einordne. 
 
 
Das lange Finish: Runner´s Purgatorium 
  
Die Sonne steht inzwischen ziemlich hoch. Da 
es kaum Schatten gibt, nimmt auch die Wärme schnell zu, die zudem auch noch von 
dem Asphalt reflektiert wird. Ich verspüre Durstgefühl. Das ist nicht gut! Ich 
muß auf dem letzten Drittel mit den gefürchteten Pro-blemen der Dehydrierung 
rechnen, die vor allem durch die Blutverdickung hervorgerufen werden: Die 
Leistungsfähigkeit sinkt dann drastisch ab. Im fortgeschrittenen Stadium treten 
fiebrige Zustände mit Koordinations- und Wahrnehmungsstörungen auf. Im 
schlimmsten Fall kommt es zum Kollaps oder sogar zum Koma. Ich bin froh, 
prophylaktisch ein Aspirin genommen zu haben, um die Fließfähigkeit des Blutes 
zu verbessern. 
  
Das Durstgefühl nimmt zu. Die 
Verpflegungsstellen werden mir jetzt immer wichtiger. Ich trinke so viel wie 
möglich und wechsle zwischen Wasser, Powerade, Cola und nehme hin und wieder ein 
Stück Banane. Bei jeder Gelegenheit tauche ich meine Mütze ins Wasser und 
befeuchte auch meinen Oberkörper, um mich zu kühlen. Die Benutzung von Duschen 
und Sprühanlagen meide ich, weil feuchte Socken sehr leicht zu äußerst 
schmerzhaften Blasen an den Füßen führen können. Bei 30 km (nach 57 
Laufkilometern) gestatte ich mir erstmals, im Verpflegungs-bereich zu gehen, um 
mich ausgiebig zu erfrischen und zu versorgen. Aber es hilft nicht viel, die 
Krise ist bereits da. 
  
Aufgrund der Erfahrungen vom Rennsteig und 
von Biel trifft mich die Krise nicht unerwartet. Dort hatte ich im Abschnitt 
zwischen 55 - 65 km ebenfalls schwere Krisen, die ich aber überwinden konnte. 
Ich bleibe optimistisch und suggeriere mir, dass es nach 65 km wieder besser 
gehen wird. Mein Tempo wird auch nur unwesentlich langsamer, die Splits liegen 
jetzt im Bereich von 28 Minuten. Ich laufe an einem International vorbei, dem es 
scheinbar noch schlechter geht als mir. Er trägt ein grünes Hemd mit dem 
Aufdruck „TV Beckerwerth“, ein Ortsteil meiner Geburtsstadt Duisburg. Da ich und 
wahrscheinlich auch der Becker-werther genug mit sich selbst zu tun haben, lauf 
ich wortlos vorbei. 
  
Nach 70 km wird mir klar, dass ich jetzt mit 
keiner Reinkarnation rechnen darf. Meine Zeit ist aber immer noch gut und ein 
Einlauf unter 9 Stunden bleibt realistisch. Allerdings werden meine 
Gehabschnitte immer häufiger und länger. Auch bergab fällt mir das Laufen sehr 
schwer. Ich habe keine muskulären oder sonstigen orthopädischen Probleme, aber 
mein Puls rast im Maximalbereich. Offensichtlich bin ich dehydriert. Den 
unspektakulären höchsten Punkt mit 810 m, Umlaas Road, haben wir inzwischen 
passiert. An Angriff ist nicht mehr zu denken. Nun geht es nur noch darum, die 
letzten 15 km zu überstehen, und noch liegt der „Killer“ Polly Shortts, der 
letzte der „Big Five“, vor mir. Meinen Zustand kann ich zumindest nicht mit den 
Verpflegungsstellen begründen. Die Verpflegung auf der Strecke ist absolut das 
Beste, was ich jemals erleben durfte. 
  
Am Anstieg zu Polly Shortts, der von 
Tausenden von Zuschauern gesäumt wird, stehen mir für die letzten 10 km noch ca. 
1.30 Stunden zu Verfügung, um eine Zeit unter 9 Stunden zu erreichen. Ich bin 
beruhigt und „walke“ die Steigung, wobei ich auch nur unwesentlich langsamer bin 
als die wenigen Nicht-Wanderer. Am Gipfelpunkt bin ich erleichtert, für etwa 7 
km habe ich noch 70 Minuten, und es geht ja immerhin überwiegend bergab. 
  
Inzwischen verhindert aber mein Herzrasen, 
dass ich bergab noch laufen kann, also muß ich nun auch bergab gehen. Das war im 
Zeitkonto nicht geplant. Nun könnte es doch noch eng werden, zumal wir jetzt 28 
Grad im Schatten haben, wobei es so gut wie keinen Schatten gibt. 
  
Die Bergabpassage erweist sich als sehr 
wellig. Kein flaches Stück, auf dem ich noch traben könnte, statt dessen geht es 
im Wechsel rauf oder runter. Die Zuschauer rufen mir ständig zu „Don´t go!“, 
aber sie wissen nicht, was in meinem Körper vorgeht, der sich gegen jedes 
weitere Laufen schmerzhaft wehrt. So stelle ich mir Runner´s Purgatorium vor. 
Die letzten Kilometer werden immer irrealer. Falle ich vielleicht in ein 
schwarzes Loch, in dem die bekannten Raum-Zeit-Gesetze aufgehoben sind? Meine 
Bewegungen beginnen unko-ordiniert zu werden. Offensichtlich verliere ich die 
Kontrolle über meinen Körper. Ich denke nun auch an die Möglichkeit, zu 
kollabieren oder in ein Koma zu fallen. Das darf auf keinen Fall passieren, denn 
dann habe ich alles verloren. Noch funktioniert zumindest meine Wahrnehmung, 
aber es sind noch immer 3 km bis zum Ziel. Ich höre bereits aus der Ferne die 
Lautsprecher und die Zuschauer im Stadion, aber 3 km erscheinen mir jetzt eher 
wie drei Lichtjahre. 
  
Von hinten greift mir ein helfender Arm 
unter meinen linken Arm. Es ist ein Comrade oder hat der Himmel vielleicht einen 
Engel geschickt? Jedenfalls redet er beruhigend auf mich ein: „Just walk! We 
will do it!“ Ich vertraue ihm und fühle mich gerettet. Kurz darauf ein weiterer 
hilfreicher Arm auf der rechten Seite, noch ein Comrade bzw. Engel. Ich lege 
meine Arme um ihre Schultern und zusammen gehen wir dem Zielraum entgegen. 
 
 
Das Ziel 
  
Das Ziel liegt im Stadion einer 
Pferderennbahn. In das Stadion eingebogen, haben wir noch mehrere 100 Meter zu 
gehen, die mir endlos erscheinen. Als uns das Publikum ankommen sieht, beginnt 
ein Höllenlärm. Alle trommeln mit den Händen auf die Reklametafeln der 
Absperrung und schreien uns unverständliche Worte zu. Ich weiß, dass wir gemeint 
sind und für den Moment zu Heroes werden, denn das möchte man hier sehen: 
Comrades mit letztem Einsatz! 
  
Unmittelbar vor dem Zielkanal rufen meine 
Comrades bereits nach medizinischer Hilfe. Mein Blick auf die Uhr zeigt 8.44, 
ich kann trotz aller Leiden innerlich noch jubeln. Dann sind wir durch. Mein 
einziger Wunsch besteht jetzt darin, mich hinzulegen, aber meine Comrades halten 
mich fest. Ich bekomme die erhoffte Bronzemedaille mit Silberrand umgehängt. 
Einer meiner Comrades sagt zu mir: „You have done it! Well done!“ Ich bin stolz, 
freue mich, würde ihnen gerne danken, bringe aber kein Wort hervor. 
  
Da ist auch schon die Helfergruppe mit der 
Trage. Sie legen mich vorsichtig ab und tragen mich in das Zelt für die 
medizinische Versorgung. Meine Comrades klopfen mir noch einmal auf die Schulter 
und gehen dann in Richtung „Runner Exit“. 
 
 
Nach dem Rennen 
  
Das Zelt der medizinischen Versorgung ist 
sehr geräumig. Mindestens 50 Liegen sind vor-bereitet und z.T. auch belegt. Ich 
werde sofort von einer Ärztin empfangen. Nach kurzer Untersuchung und Befragung 
teilt sie meine Diagnose: „Dehydration“. Ich lasse mir von den Helferinnen 
insgesamt 10 Becher gekühlter Getränke bringen. Eine Helferin fächelt meinem 
Kopf mit einem Stück Pappe wohltuend Luft zu. Inzwischen werden pausenlos Läufer 
hereingetragen. Neben mit liegt jetzt ein Comrade, der sich im Koma befindet. 
Die Medi-ziner arbeiten hektisch an ihm, während ich eine entspannende Massage 
meiner harten Oberschenkelmuskulatur genieße. Nach einer halben Stunde haben 
sich mein fiebriger Zustand und mein Kreislauf soweit normalisiert, dass ich zum 
Treffpunkt begeben kann. 
  
Den internationalen Läufern steht exklusiv 
ein eigenes Zelt direkt am Zieleinlauf zu, in dem mit großzügigem Service ein 
kalt-warmes Buffet incl. Kuchentheke bereitsteht und verschie-dene Getränke 
ausgegeben werden. Der Zugang wird an einer Pforte von einem breit-schultrigen 
Uniformierten kontrolliert. 
  
Unsere Begleiterinnen sind bereits seit dem 
Mittag in dem Arreal und erwarten unseren Einlauf, für dessen unfreiwilligen 
Höhepunkt ich bisher gesorgt habe. Als sie mich sehen, breitet sich 
Erleichterung aus. Die bereits eingetroffen Finisher begrüßen sich freudig. 
Lothar aus Leipzig ist kurz vor mir im Zelt angekommen und hat eine 
Bronzemedaille erkämpft. Da sehe ich auch Josef triumphierend mit einer 
Silberrand-Medaille sitzen: 8.53 Stunden sind es geworden. Er ist hoch 
zufrieden, wir beglückwünschen uns gegenseitig. Josef überläßt mir seinen Stuhl 
und besorg mit eine Dose Bier. In der Runde sehe ich jetzt noch weitere 
Silberrand-Medaillenträger: Ralf aus Paderborn mit 8.19, Helmut aus Hanau mit 
8.40 (er ist in den nächsten Tagen nur noch mit Medaille zu sehen), unser etwas 
enttäuschter Uwe Ellger mit 8.47, ein glücklicher Axel mit 8.51. Tiny aus 
Holland strahlt: Sie hat sich bei ihrem zweiten Start um eine halbe Stunde auf 
hervorragende 8.52 verbessert, ihr Mann ist noch auf der Strecke. Gerhard hat 
mit 6.40 eine Silbermedaille erlaufen. Ich frage nach den Ergebnissen unserer 
Marpinger SpitzenläuferInnen: Rainer Müller wurde 14. mit 5.49, Tanja Schäfer 
ist zusammen mit ihrem Freund und Trainer Foerg Hoos in 6.51 als 8. Frau 
eingelaufen. Manfred Steffny hat mit 7.55 seine Erwartungen deutlich verfehlt 
und sagt später, dass er sich diesen Lauf nicht wieder antun will. (Grete Weitz 
hat nach ihrem ersten Sieg in New York auch behauptet „I´ll never do it again!“, 
um dann noch sieben Siege nachzulegen.) Insgesamt haben wir ein hervorragendes 
Gruppenergebnis erzielt. 
  
Ich verspüre wieder Durst und lasse mich mit 
gutem südafrikanischen Dosenbier ver-sorgen. Insgesamt 5 „Cans“ versickern, ohne 
dass ich die Wirkung von Alkohol verspüre. In der Zwischenzeit hat sich auch der 
Hunger gemeldet und ich schiebe mehrere Gänge mit gefülltem Pita-Brot und Kuchen 
ein. 
  
Noch fehlen einige Teilnehmer unserer 
Gruppe. Unsere Begleiterinnen beobachten weiter den Zielbereich und kündigen 
jeden gesichteten Läufer unserer Gruppe freudig und erleichtert an. Gerhard, der 
am Wochende vorher noch am Gebrüder-Grimm-Etappenlauf teilgenommen hat kommt in 
9.28. Rolf und Wolfgang sind die ganze Strecke zusammen gelaufen und erreichen 
gemeinsam mit 9.49 das Ziel. Das Eintreffen im Zelt wird jedesmal von großem 
Applaus und vielen Hallos begleitet. Zahlreiche helfende Hände kümmern sich um 
die gerade angekommenen Läufer. 
  
Gegen Ende vermissen wir noch zwei 
Teilnehmer: Edda aus Bad Soden sowie Hinrich aus Wilhelmshaven. Edda wird 
schließlich mit 12.32 nach Zielschluß eintreffen, aber mit 58 Jahren und 
überstandener Brustkrebsbehandlung feiert auch sie ihren Erfolg. Hinrich kommt 
endlich nach 11.24 ins Ziel und wird von einem Weinkrampf erschüttert. Er ist an 
der Strecke auf eine Frau mit Atemstillstand getroffen. Alarmiert durch die Rufe 
„Help the lady!“ leitet Hinrich, der als Feuerwehrmann über einschlägige 
Kenntnisse verfügt, mit Herz-massage und Mund-Zu-Mund-Beatmung bis zum 
Eintreffen des Rettungsdienstes die Reanimationsmaßnahmen ein und rettet der 
Frau damit wahrscheinlich das Leben. Das erschütternde Erlebnis mit der 
Ungewissheit über das Schicksal der Frau läßt zusammen mit den Anstrengungen des 
Laufes Hinrich selbst fast zusammenbrechen. Mehrmals wiederholt er das Urteil 
von seinem „schlimmsten Lauf“. (Am nächsten Tag spricht er nur noch von seinem „anstrengendsten 
Lauf“. Am übernächsten Tag schmiedet er bereits Pläne für einen neuen Start im 
nächsten Jahr und will gleich nach der Rückkehr mit dem Training beginnen, um 
dann auch unter 9 Stunden zu laufen.) 
  
Aus der Presse werden wir in den beiden 
nächsten Tagen erfahren, dass insgesamt 54 LäuferInnen im Krankenhaus behandelt 
werden mußten. Überschattet werden die Meldungen vom Tod eines 
zweiunddreißigjährigen Läufers und siebenfachen Comrades-Teilnehmers. Es ist der 
dritte Todesfall in 75 Jahren. 
 
 
Show Down: Sekunden trennen Himmel und 
Hölle 
  
10 Minuten vor Ablauf der Sollzeit gehe ich 
mit Josef zum Ziel, um das spektakuläre Ende mitzuerleben. Der Läuferstrom wird 
immer dichter. In den letzten 6 Minuten sind laut Presse 1.600 Läufer 
eingetroffen. Wir sehen sehr viel Freude und Jubel, aber wir erleben auch, wie 
nicht mehr gehfähige LäuferInnen getragen, gezogen und geschleift werden. Die 
Zielkanäle verstopfen, viele Läufer, die vor den verstopften Zielkanälen stehen, 
kollabieren. Die nicht mehr gehfähigen Läufer können ohnehin nur noch abgelegt 
werden. Der medizinische Dienst ist jetzt überfordert, Man kommt nicht mehr nach 
mit dem Abtransport der Kolla-bierten. Der Sprecher heizt die Stimmung an, die 
Zuschauer toben, die Spannung steigt. 
  
Eine Minute vor Schluß wird die Absperrung 
von etwa 20 kräftigen Männern vorbereitet, die ein dickes Seil festhalten. 
Chairman Alison West tritt mit ihrer Signalpistole und dem Rücken zu den 
anstürmenden Läufern vor das Ziel. Ein Sekundant zählt den Count Down. Dann ein 
Schuß und das Seil wird blitzschnell über die Strecke gespannt. Die gerade 
ankommenden LäuferInnen akzeptieren die Situation nicht kampflos. Es kommt zu 
kurzem Gerangel, aber die entkräfteten LäuferInnen haben keine Chance. Viele 
lassen sich erschöpft fallen oder kollabieren. Der Zielraum gleicht vor und 
hinter dem Seil einem Schlachtfeld. In der nächsten Stunde werden noch viele 
Läufer ankommen; die meisten haben resigniert und lassen sich vor dem Ziel 
fallen. 
  
Edda gehört dagegen zu den „Lucky Loosern“. 
Sie hat nicht nur aus eigener Kraft das Ziel nach 12.32 erreicht, sondern eine 
Zulu-Frau hat ihr einige Kilometer vor dem Ziel mir den Worten „You are a hero!“ 
ein Holzkreuz an einem Band geschenkt. Für Edda ist das mehr als ein 
Medaillenersatz. So konnten wir schließlich doch noch alle als Gewinner die 
Heimreise antreten. 
 
 
Epilog 
  
Der Comrade vereinigt Ausstrahlung, 
Erlebniswert und die Erfahrung eigener Grenzen in einer bisher unübertroffenen 
Intensität und Qualität. Zurück in Deutschland kreisen die Gedanken auch nach 
einer Woche noch immer um das Erlebte und ich denke bereits an den 76. Comrades 
im Jahr 2001, der dann wieder als down-run stattfindet. Mit guter Vorbereitung 
sollte eine Zeit unter 8.30 Stunden möglich sein, wenn ich die Fehler vermeide. 
Beim nächsten Mal muß ich mich besser vorhydrieren, unterwegs mehr trinken und 
den Körper gezielter kühlen. 
 
 
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Comrade: Englisch für Kamerad 
  
 
 
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              Autor und Copyright: Karlheinz Kellert,
  
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