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Ein Gentest zum Wettkampf? - DLV und WA im Sprint gegen die Zeit
 
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20.08.2025 

 

  
Ein Gentest zum Wettkampf?
DLV und World Athletics im Sprint gegen die Zeit
Wenn Biologie über Identität entscheidet


Was macht eine Frau zur Frau - im Alltag, in der Gesellschaft, im Sport? Eine Frage, auf die es viele Antworten gibt. Doch für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2025 in Tokio wird sie auf einen einzigen Punkt reduziert: das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom. Der internationale Leichtathletikverband World Athletics schreibt vor, dass alle Athletinnen, die an Wettbewerben der Frauenklasse teilnehmen wollen, per Gentest ihr biologisches Geschlecht nachweisen müssen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur Spitzensportlerinnen - sie wirft Grundsatzfragen auf, die weit über den Sport hinausreichen.
 
Ein Gentest entscheidet künftig darüber, wer im Spitzensport als Frau starten darf - so will es der Leichtathletik-Weltverband World Athletics. Eine Entscheidung, die derzeit für Diskussionen sorgt. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat seine Athletinnen kürzlich darüber informiert: Wer bei der Weltmeisterschaft 2025 in Tokio starten will, muss vorab nachweisen, dass sie genetisch eindeutig weiblich ist. Und das geschieht per Gentest - einer Untersuchung, die viele Fragen aufwirft.
 
Ab dem 1. September 2025 ist für Athletinnen, die an internationalen Wettbewerben der Frauenklasse teilnehmen möchten, ein sogenannter SRY-Gentest verpflichtend. Dieser Test sucht nach einem bestimmten Gen auf dem Y-Chromosom - dem SRY-Gen -, das üblicherweise nur bei biologischen Männern vorkommt. Wird es nachgewiesen, gilt die Person laut World Athletics nicht als weiblich - unabhängig von ihrer Identität, ihrem Hormonhaushalt oder ihrer bisherigen Zugehörigkeit zum Frauensport. Die Durchführung erfolgt über einen Wangenabstrich oder eine kleine Blutprobe. Die Analyse dauert rund zwei Wochen und wird von spezialisierten Laboren durchgeführt. In Deutschland koordiniert der DLV die Abwicklung und stellt sicher, dass alle Tests rechtzeitig erfolgen. Wichtig: Die Ergebnisse bleiben zunächst beim Labor und werden nicht automatisch an World Athletics weitergegeben. Erst ab dem Stichtag 1. September 2025 kann der Weltverband stichprobenartige Nachweise einfordern.
 
World Athletics sieht in der Maßnahme einen notwendigen Schritt, um die Fairness im Frauensport zu gewährleisten. Präsident Sebastian Coe erklärte: "Gender cannot trump biology." Damit meint er: Die biologische Grundlage müsse Vorrang haben vor geschlechtlicher Identifikation. Kritiker hingegen werfen dem Verband vor, mit dieser Haltung die Vielfalt der Geschlechtsentwicklung zu ignorieren und komplexe medizinische Realitäten zu stark zu vereinfachen.
 
Besonders deutlich wird die Kritik aus der Wissenschaft: Professor Andrew Sinclair, der das SRY-Gen mitentdeckt hat, warnt davor, zu viel Gewicht auf einen einzelnen Gentest zu legen. Die Realität sei komplizierter: Es gebe Menschen mit Y-Chromosom, die keinerlei männliche Hormonwirkung im Körper entwickeln - sogenannte DSD-Athletinnen. Diese seien biologisch ebenso weit vom typischen männlichen Profil entfernt wie jede andere Frau. Auch die Umsetzung sorgt international für Probleme: In Kanada mussten Athletinnen erneut getestet werden, weil erste Proben fehlerhaft waren. In Frankreich verhinderten nationale Bioethikgesetze die Durchführung - Athletinnen mussten ins Ausland reisen. Spanien hingegen hat früh reagiert und den Test bereits bei den Landesmeisterschaften eingeführt. Dort erhalten Sportlerinnen ein lebenslang gültiges digitales Zertifikat - und die Möglichkeit, bei einem auffälligen Ergebnis eine zweite Probe einzureichen oder den Testosteronwert medizinisch anzupassen.
 
In Deutschland bemüht sich der DLV um eine möglichst reibungslose Umsetzung. Verbandsarzt Prof. Dr. Dr. Karsten Hollander spricht von einer moralischen und logistischen Herausforderung: "Das Thema ist außerordentlich sensibel, gerade im Spitzensport. Die Einführung mit so kurzfristigem Vorlauf stellt uns alle vor große Aufgaben." Umso wichtiger sei es, schnell zu handeln. Der Verband hat kurzfristig Kooperationen mit Labors geschlossen und organisiert bereits jetzt die notwendigen Abläufe, um allen betroffenen Athletinnen eine faire Chance auf die WM-Teilnahme zu ermöglichen.
 
Die neue Regelung polarisiert. Für die einen bedeutet sie einen Schritt zu mehr Fairness - für andere ist sie ein Symbol für Ausgrenzung und Überregulierung. Fakt ist: Der internationale Spitzensport steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Ob der Gentest tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit führt oder neue Hürden aufbaut, wird sich spätestens bei den Weltmeisterschaften in Tokio zeigen. Bis dahin bleibt vielen Athletinnen nur eines: Der Sprint durch ein Dickicht aus Biologie, Bürokratie und Identität - auf der Suche nach einem Platz im sportlichen Wettbewerb, der ihrem Können gerecht wird.
 




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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln