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20 % schneller ohne Training - was steckt hinter Nikes Motor-Schuh?
 
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25.10.2025 

 

 
Motorisiert durchs Joggen: Ist das noch Laufen - oder schon Science-Fiction?
 
Das Bild ist verlockend: Man schnürt die Schuhe, tritt vor die Haustür - und plötzlich läuft alles wie von selbst. Jeder Schritt wirkt leichter, der Boden scheint nachzugeben, und man fühlt sich, als hätte man zusätzliche Muskeln in den Beinen. Klingt nach Science-Fiction? Genau hier setzt das neueste Projekt des Sportartikelriesen Nike an. Mit dem sogenannten Project Amplify arbeitet das Unternehmen an einem motorisierten Laufschuhsystem, das laut Hersteller die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, grundlegend verändern könnte. Das Versprechen: bis zu 20 Prozent schneller laufen - ganz ohne zusätzliches Training.
 
Für viele klingt das zunächst nach einem Widerspruch. Laufen gilt schließlich als eine der ursprünglichsten Bewegungsformen des Menschen, frei von Technik, Motoren oder Hilfsmitteln. Doch was, wenn Technologie das Laufen nicht ersetzt, sondern erweitert? Wenn sie Menschen wieder in Bewegung bringt, die sich bislang schwertaten? Nike will genau das erreichen - und greift dafür tief in die Trickkiste der Ingenieurskunst.

Die Idee hinter dem "Project Amplify"
 
Noch befindet sich das System nicht im Handel, sondern in einer intensiven Entwicklungsphase. Nach Angaben von Nike und Berichten unter anderem von Reuters und Wattmoves.de kombiniert der Prototyp einen leichten Motor mit einem Carbon-verstärkten Schuh und einem externen Akkumodul, das am Unterschenkel befestigt wird. Sensoren erkennen dabei den Bewegungsrhythmus des Läufers und unterstützen genau in dem Moment, in dem die meiste Kraft benötigt wird - also beim Abdruck. Die Energieunterstützung ist so dosiert, dass sie den natürlichen Bewegungsablauf nicht stört, sondern sich in ihn einfügt.
 
Bemerkenswert ist, dass sich das System ausdrücklich nicht an Leistungssportler richtet, sondern an Freizeitläuferinnen und -läufer, die ein moderates Tempo zwischen acht und zehn Kilometern pro Stunde bevorzugen. Es geht also nicht darum, Rekorde zu brechen, sondern um mehr Komfort, Leichtigkeit und Freude an der Bewegung. Laut den Entwicklern sollen Tests mit über 400 Probanden und mehr als 2,4 Millionen gemessenen Schritten ergeben haben, dass sich die Laufgeschwindigkeit bei gleichem Krafteinsatz im Durchschnitt um etwa 20 Prozent steigern lässt.
 
Chancen für den Laufsport
 
Für den Freizeitsport eröffnet diese Idee ganz neue Perspektiven. Viele Menschen kennen das Gefühl, dass Laufen mitunter mühsam ist - besonders für Einsteiger, ältere Menschen oder jene, die nach einer Verletzung wieder beginnen möchten. Eine Technik, die das Laufen erleichtert, könnte neue Motivation schaffen und Barrieren abbauen. Vielleicht werden dadurch auch Menschen erreicht, die bislang keinen Zugang zum Laufsport fanden.
Gleichzeitig verändert sich durch solche Innovationen die Trainingslogik. Wenn die Anstrengung geringer wird, stellt sich die Frage, ob der Körper weiterhin denselben Trainingsreiz erfährt. Der Fokus könnte sich verschieben - weg von der reinen Leistungssteigerung, hin zu einem Laufen, das stärker auf Wohlbefinden, Regeneration und Freude an der Bewegung ausgerichtet ist. Lauftrainerinnen und -trainer müssten sich in Zukunft vielleicht mit einer neuen Trainingsphilosophie auseinandersetzen, die Technik gezielt einbindet, statt sie als Fremdkörper zu betrachten.
Auch für Laufveranstaltungen könnte diese Entwicklung eine Herausforderung darstellen. Wenn einige Teilnehmende mit technischer Unterstützung antreten, stellt sich unweigerlich die Frage nach der Fairness. Wird das noch als sportliche Leistung gewertet oder als technisches Experiment? Denkbar wäre, dass künftig eigene Kategorien für motorunterstützte Läufe entstehen - ähnlich wie bei E-Bikes im Radsport.

Zwischen Faszination und Skepsis
 
So faszinierend die Vorstellung eines "verstärkten Laufens" klingt, sie wirft zugleich eine Reihe ethischer und physiologischer Fragen auf. Ist das noch Sport, wenn ein Motor mithilft? Und welche Anpassungen im Körper bleiben aus, wenn die Anstrengung geringer ist? Es ist unklar, ob motorunterstütztes Laufen denselben Effekt auf Herz-Kreislauf-System, Muskulatur und Koordination hat wie das klassische Lauftraining.
 
Hinzu kommen praktische Überlegungen. Noch ist offen, wann und zu welchem Preis das System auf den Markt kommen wird. Auch das Thema Wartung, Akkulaufzeit und Umweltverträglichkeit spielt eine Rolle. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Motivation: Wird man sich an die technische Hilfe gewöhnen - und ohne sie gar nicht mehr laufen wollen? Oder bleibt sie ein Hilfsmittel für bestimmte Situationen, etwa für Rehabilitation, Senioren oder längere Strecken?



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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln