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Baum, Haus, Kind - und ein Marathon? Warum dieses Mantra ausgedient hat
 
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12.11.2025 

 

 
Baum, Haus, Kind - und ein Marathon? Warum dieses Mantra ausgedient hat
 
Seit Jahrzehnten hält sich der Satz, ein "richtiger Mann" müsse in seinem Leben drei Dinge tun: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und ein Kind zeugen. In den vergangenen Jahren hat sich stillschweigend ein vierter Punkt eingeschlichen: den Marathon laufen. Doch auch wenn dieser Mythos nach wie vor gern zitiert wird - er passt nicht mehr in die Gegenwart. Das Laufen hat sich verändert. Es ist vielfältiger geworden, individueller, und längst nicht mehr an eine symbolische "Bewährungsprobe" geknüpft. Und: Auf den Straßen der großen Marathons stehen heute fast genauso viele Frauen wie Männer - zumindest in den USA, während Europa noch aufholt.
 
In den Vereinigten Staaten erreichen einige der großen Stadtmarathons mittlerweile Frauenanteile von deutlich über 40 Prozent. New York, Chicago und Boston verzeichnen Jahr für Jahr steigende Finisherzahlen von Läuferinnen, die den Marathon als persönliche Herausforderung, aber nicht als identitätsstiftende Pflicht verstehen. In Europa ist die Entwicklung ebenfalls spürbar, wenngleich etwas langsamer. Beim London Marathon etwa nähert sich das Starterfeld seit Jahren der Parität, während Berlin traditionell männlicher dominiert ist. Die Tendenz ist jedoch eindeutig: Das Bild vom Marathon als männlicher Mutprobe ist überholt. Der Marathon gehört längst allen, die ihn laufen möchten - und niemandem, der ihn "laufen muss".
 
Doch genau hier lohnt sich die Frage: Muss es überhaupt der Marathon sein? Die Antwort fällt überraschend klar aus. Für viele Läuferinnen und Läufer sind 5 km, 10 km oder der Halbmarathon die passendere Distanz - sportlich anspruchsvoll, aber weniger zeitintensiv und körperlich belastend. Besonders der Halbmarathon hat sich in den vergangenen Jahren zur vielleicht beliebtesten Distanz entwickelt. Er bietet genügend Länge, um das Gefühl einer wirklichen Leistung zu vermitteln, bleibt aber in der Vorbereitung gut mit Alltag, Beruf und Familie vereinbar.
 
Auch aus gesundheitlicher Sicht spricht vieles dafür, das Ziel individuell zu wählen. Der entscheidende Effekt regelmäßiger Bewegung entsteht schon weit unterhalb der Marathon-Distanz. Wer sich mehrmals pro Woche bewegt, senkt sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stärkt insgesamt Körper und Psyche - unabhängig davon, wie viele Kilometer bei einem Wettkampf auf der Startnummer stehen. Der Marathon selbst ist eine intensive Belastung, die Regeneration erfordert und im Extremfall sogar kurzfristige Überlastungsreaktionen hervorrufen kann. Das ist kein Argument gegen den Marathon - aber ein Hinweis darauf, dass er bewusst und vorbereitet gewählt werden sollte.
 
Vor diesem Hintergrund erscheint der alte Spruch aus einer anderen Zeit. Er suggeriert, dass es im Leben bestimmte Pflichten gebe, die erfüllt sein müssen, um Anerkennung zu finden - als Mann, als Sportler, als Persönlichkeit. Doch Laufen ist heute ein Raum, in dem Selbstbestimmung an die Stelle von Erwartungsdruck tritt. Ob jemand 10 km läuft, einen Halbmarathon genießt oder mit Begeisterung die 42,195 km in Angriff nimmt: Jede Distanz hat ihren eigenen Reiz, ihre eigene Würde und ihren eigenen Effekt.
 
Deshalb ist das neue Leitbild eines modernen Laufverständnisses ein völlig anderes. Es lautet: Laufe regelmäßig. Laufe bewusst. Laufe so, dass es zu deinem Leben passt. Wer einen Marathon laufen möchte, soll das mit Freude tun. Wer dagegen in kürzeren Distanzen seine sportliche Heimat findet, ist ebenso Teil der Laufszene. Die Vielfalt, die heute auf Laufstrecken und bei Wettkämpfen sichtbar wird - von Anfängerinnen über erfahrene Freizeitläufer bis hin zu ambitionierten Athleten - zeigt eindrucksvoll, dass niemand sich über eine symbolische Distanz definieren muss.
 
Die Frage ist also nicht länger: "Muss man im Leben einen Marathon laufen?" Sondern vielmehr: "Welche Form des Laufens bereichert mein Leben am meisten?" Wenn der Sport dort ansetzt, wo er Freude, Gesundheit und Selbstwirksamkeit vermittelt, dann ist er angekommen - unabhängig von der Zahl auf der Ziellinie.



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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln