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             Ashburton, 
            noch 12 km, aber die haben es in sich! Vor mir liegt, der Mpusheni, 
            ein bissiger Anstieg von ca. 1 km, auch als Little Polly 
            bezeichnet, der Vorbote des berüchtigten Killers Polly Shortts. 
            Alle gehen jetzt an den Anstiegen. Vor 2 Jahren habe ich hier auch 
            nur noch gehen können, jetzt laufe ich noch immer und arbeite mich 
            langsam in das Mittelfeld vor. Ab Polly Shortts will ich noch einmal 
            zuschlagen und angreifen. Ich will Genugtuung für das Leiden, das 
            ich vor 2 Jahren aushalten musste. Fürchte nicht die Boten des 
            Todes, heute ist dein Tag! 
             
             Langsam, 
            geradezu genüsslich, laufe ich Polly Shortts hoch, den fünften und 
            letzten Berg der Big Five. Hier stehen die meisten Fernsehkameras 
            der ganztägigen Life-Übertragung, denn hier entscheidet sich alles. 
            Ich erkenne sie wieder, die Leiden, aber heute gehören sie nicht 
            mir, sondern anderen. Ich weiß, was in den anderen vorgeht, weiß, 
            wie unendlich lang die letzten Kilometer sein können und wie die 
            Zeit ge-gefressen wird. Wie lang und schwer 2 km sein können, ist 
            hier zu erfahren. Tut mir Leid für euch, aber ich muss weiter. 
             
            Endlich oben und gleich hinter der großen Verpflegungsstation das 
            Ortseingangsschild Pietermaritzburg, die Pforte zum Paradies, das 
            nur noch 7 km entfernt ist. Ich erhöhe mein Tempo, wohl wissend, 
            dass es bis zum Ziel noch einige Anstiege gibt, die schmerzhaft sein 
            können, aber nicht bei mir, zumindest nicht heute! Wenn ich ein 
            Tempo von 6 Min/km halten kann, werde ich bei 9.50 Std. einlaufen. 
            Das Rechnen funktioniert noch. Ich mache weiter Druck und leiste mir 
            keinen unnötigen Aufenthalt mehr an den Verpflegungsstellen. Unsere 
            Begleitgruppe wird sicher schon da sein. Haltet die Kameras bereit, 
            ich komme! 
             
             Scottsville 
            Racecourse, wo sich das Finsh befindet, ist erreicht. Nun noch eine 
            Runde über weichen Rasen durch das dichte Zuschauerspalier. Nach 
            einer Linkskurve sehe ich auf der rechten Seite das Zelt für die 
            International runners und erkenne unsere Leute, die mir zurufen 
            und winken. Ich winke zurück, balle die rechte Faust und genieße 
            mich. 
             
            
            Noch eine 
            Rechtskurve, dann sehe ich das Ziel. Adrenalin bis in die 
            Haarspitzen, ein letzter Spurtversuch, geschafft: 9.49.25 Std., 
            Platz 4276. Ich fühle mich großartig, Triumph des Geistes über die 
            Materie, empfange meine Bronzemedaille und begebe mache mich auf den 
            Weg zum International-Zelt.
              
            
            Unsere 
            Begleitgruppe empfängt mich mit einer herzlichen Begrüßung und führt 
            mich in ein ruhigeres Eckchen des Zeltes, wo einige bereits 
            angekommene Läufer unserer Gruppe warten: Mein alter Kumpel, Josef 
            Steingaß aus Aachen, mein Lauffreund Lothar Feicke aus Leipzig, der 
            endlich im dritten Anlauf die Grenze von 9 Stunden unterboten hat 
            und dafür mit einer Bill Rowan Medaille belohnt wird, Klemens 
            Walter, der ebenso wie Wolfgang Seewald im ersten Ultralauf 
            überhaupt unter 9 Stunden bleibt. Ich treffe Kurt Brennert mit 
            seiner Frau und August Zotzek ist auch bereits da. Es geht ihm nicht 
            gut. Er liegt auf dem Rasen, ist nicht ansprechbar, aber verweigert 
            medizinische Versorgung. 
            
            Bärbel Feicke 
            besorgt mir ein Bier, Castle Lager, auf das ich mich unterwegs schon 
            lange gefreut habe. Michael Schläbitz, Laufreiseveranstalter, den 
            ich vom Two Oceans Marathon in Kapstadt kenne, kommt auf mich zu, 
            umarmt und beglückwünscht mich. Zu seiner Reise-gruppe gehört Maria 
            Bak, die in diesem Jahr in der Zeit von 6.14 Std. erneut und damit 
            zum dritten Mal die Frauenwertung des Comrades gewonnen hat. Ich 
            setze mich zu Josef und Lothar. Nun warten wir noch auf unsere 
            fehlenden Laufkameraden und hoffen, dass sie vor dem dramatischen 
            Zielschluss eintreffen. 
            
            Norbert Selmeier 
            und Dietrich Schiemann schaffen das Finish locker unter 11 Stunden, 
            während Thore Joten erst nach Zielschluss eintrifft. Schade für ihn, 
            vielleicht versucht er es ja im nächsten Jahr noch einmal im 
            Down-Run. 
            Der Zielschluss 
            ist ein spektakulärer Showdown, angeheizt durch Ansager und 
            Zuschauer. Nicht mehr gehfähige LäuferInnen werden getragen, gezogen 
            oder geschleift. Die Zuschauer toben. Eine Minute vor Schluß wird 
            die Absperrung von etwa 20 kräftigen Männern vorbereitet, die ein 
            dickes Seil festhalten. Chairman Alison West tritt mit ihrer 
            Signalpistole und dem Rücken zu den anstürmenden Läufern vor das 
            Ziel. Ein Sekundant zählt den Countdown. Dann ein Schuss und das 
            Seil wird blitzschnell über die Strecke gespannt. Die gerade 
            ankommenden LäuferInnen versuchen noch durchzuschlüpfen, aber die 
            entkräfteten LäuferInnen haben keine Chance. Viele lassen sich 
            erschöpft fallen oder kollabieren. Glücklicherweise gibt es eine 
            hervorragende medizinische Betreuung.  |