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Ein Gentest zum Wettkampf? - DLV und WA im Sprint gegen die Zeit |
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Ein Gentest zum Wettkampf?
DLV und World Athletics im Sprint gegen die Zeit
Wenn Biologie über Identität entscheidet
Was macht eine Frau zur Frau -
im Alltag, in der Gesellschaft, im Sport? Eine Frage, auf die es viele Antworten
gibt. Doch für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2025 in Tokio wird sie auf
einen einzigen Punkt reduziert: das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom. Der
internationale Leichtathletikverband World Athletics schreibt vor, dass alle
Athletinnen, die an Wettbewerben der Frauenklasse teilnehmen wollen, per Gentest
ihr biologisches Geschlecht nachweisen müssen. Diese Entscheidung betrifft nicht
nur Spitzensportlerinnen - sie wirft Grundsatzfragen auf, die weit über den
Sport hinausreichen.
Ein Gentest entscheidet künftig
darüber, wer im Spitzensport als Frau starten darf - so will es der
Leichtathletik-Weltverband World Athletics. Eine Entscheidung, die derzeit für
Diskussionen sorgt. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat seine
Athletinnen kürzlich darüber informiert: Wer bei der Weltmeisterschaft 2025 in
Tokio starten will, muss vorab nachweisen, dass sie genetisch eindeutig weiblich
ist. Und das geschieht per Gentest - einer Untersuchung, die viele Fragen
aufwirft.
Ab dem 1. September 2025 ist
für Athletinnen, die an internationalen Wettbewerben der Frauenklasse teilnehmen
möchten, ein sogenannter SRY-Gentest verpflichtend. Dieser Test sucht nach einem
bestimmten Gen auf dem Y-Chromosom - dem SRY-Gen -, das üblicherweise nur bei
biologischen Männern vorkommt. Wird es nachgewiesen, gilt die Person laut World
Athletics nicht als weiblich - unabhängig von ihrer Identität, ihrem
Hormonhaushalt oder ihrer bisherigen Zugehörigkeit zum Frauensport. Die
Durchführung erfolgt über einen Wangenabstrich oder eine kleine Blutprobe. Die
Analyse dauert rund zwei Wochen und wird von spezialisierten Laboren
durchgeführt. In Deutschland koordiniert der DLV die Abwicklung und stellt
sicher, dass alle Tests rechtzeitig erfolgen. Wichtig: Die Ergebnisse bleiben
zunächst beim Labor und werden nicht automatisch an World Athletics
weitergegeben. Erst ab dem Stichtag 1. September 2025 kann der Weltverband
stichprobenartige Nachweise einfordern.
World Athletics sieht in der
Maßnahme einen notwendigen Schritt, um die Fairness im Frauensport zu
gewährleisten. Präsident Sebastian Coe erklärte: "Gender cannot trump biology."
Damit meint er: Die biologische Grundlage müsse Vorrang haben vor
geschlechtlicher Identifikation. Kritiker hingegen werfen dem Verband vor, mit
dieser Haltung die Vielfalt der Geschlechtsentwicklung zu ignorieren und
komplexe medizinische Realitäten zu stark zu vereinfachen.
Besonders deutlich wird die
Kritik aus der Wissenschaft: Professor Andrew Sinclair, der das SRY-Gen
mitentdeckt hat, warnt davor, zu viel Gewicht auf einen einzelnen Gentest zu
legen. Die Realität sei komplizierter: Es gebe Menschen mit Y-Chromosom, die
keinerlei männliche Hormonwirkung im Körper entwickeln - sogenannte
DSD-Athletinnen. Diese seien biologisch ebenso weit vom typischen männlichen
Profil entfernt wie jede andere Frau. Auch die Umsetzung sorgt international für
Probleme: In Kanada mussten Athletinnen erneut getestet werden, weil erste
Proben fehlerhaft waren. In Frankreich verhinderten nationale Bioethikgesetze
die Durchführung - Athletinnen mussten ins Ausland reisen. Spanien hingegen hat
früh reagiert und den Test bereits bei den Landesmeisterschaften eingeführt.
Dort erhalten Sportlerinnen ein lebenslang gültiges digitales Zertifikat - und
die Möglichkeit, bei einem auffälligen Ergebnis eine zweite Probe einzureichen
oder den Testosteronwert medizinisch anzupassen.
In Deutschland bemüht sich der
DLV um eine möglichst reibungslose Umsetzung. Verbandsarzt Prof. Dr. Dr. Karsten
Hollander spricht von einer moralischen und logistischen Herausforderung: "Das
Thema ist außerordentlich sensibel, gerade im Spitzensport. Die Einführung mit
so kurzfristigem Vorlauf stellt uns alle vor große Aufgaben." Umso wichtiger sei
es, schnell zu handeln. Der Verband hat kurzfristig Kooperationen mit Labors
geschlossen und organisiert bereits jetzt die notwendigen Abläufe, um allen
betroffenen Athletinnen eine faire Chance auf die WM-Teilnahme zu ermöglichen.
Die neue Regelung polarisiert.
Für die einen bedeutet sie einen Schritt zu mehr Fairness - für andere ist sie
ein Symbol für Ausgrenzung und Überregulierung. Fakt ist: Der internationale
Spitzensport steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Ob der Gentest tatsächlich
zu mehr Gerechtigkeit führt oder neue Hürden aufbaut, wird sich spätestens bei
den Weltmeisterschaften in Tokio zeigen. Bis dahin bleibt vielen Athletinnen nur
eines: Der Sprint durch ein Dickicht aus Biologie, Bürokratie und Identität -
auf der Suche nach einem Platz im sportlichen Wettbewerb, der ihrem Können
gerecht wird.
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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln
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