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Die Blaue Ideallinie - Zwischen Mythos, Marketing und Marathon-Alltag |
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Die "Green-Line"
des Köln-Marathon |
Die Blaue Ideallinie - Zwischen Mythos, Marketing und Marathon-Alltag
Wenn Marathonläufer sich
fragen, ob die berühmte blaue Linie auf dem Asphalt wirklich den idealen Weg
weist - die Antwort lautet meist: Ein bisschen Mythos, ein bisschen Werbung und
eine gehörige Portion Alltagstauglichkeit. Marathonstrecken werden nach strengen
Vorgaben vermessen, entlang der kürzesten Route - der sogenannten Ideallinie.
Doch in der Praxis weicht die aufgemalte blaue Linie häufig davon ab. Technische
Einschränkungen der Markierungsmaschinen, parkende Autos oder schlicht die Hand
des Malers führen dazu, dass die Linie oft neben der wirklichen Vermessungslinie
liegt. "Die blaue Linie ist nicht das Ergebnis meiner Arbeit. Ich lege die
Ideallinie fest - die Markierung ist eher eine Interpretation. Die meisten
Läufer glauben, sie laufen exakt auf meiner Linie. Das ist ein schöner Gedanke,
stimmt aber selten", erklärt Detlev Ackermann, internationaler WA/AIMS-Vermesser.
Wie die Linie auf die Straße
kommt, zeigt sich am Beispiel Berlin. Dort beginnt die Arbeit meist gegen Abend:
Mit Van, Kompressor und Spezialmaschinen, begleitet von der Polizei, wird die
Strecke markiert. Feuchter Asphalt oder Regen bedeuten sofortigen Abbruch,
manchmal auch eine Verschiebung um eine ganze Nacht. Wer hier arbeitet, kennt
die Tücken. Manchmal parkt noch ein Auto in einer Seitenstraße. Dann bleibt
nichts anderes übrig, als die Linie drumherum zu ziehen. Am nächsten Tag wirkt
das so, als hätten die Markierer Schluckauf gehabt. Ähnliches passiert in
Münster, wo das Markierungsteam eineinhalb Wochen vor dem Marathon beginnt und
oft Passanten anlockt, die applaudieren, neugierig zuschauen oder gar Fragen
stellen. Hier wie dort ist die blaue Linie längst auch ein Stück Stadtgespräch.
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Ein Beispiel einer eher
"Nicht-Ideallinie". Die Streckenvermessung ist hier in rot
gekennzeichnet ... die blaue Linie weicht jedoch weit davon ab. Wer hier
auf der blauen Linie läuft, läuft am Ende mehr als vermessen wurde. |
Der Mythos hält sich hartnäckig - weil Läufer und Zuschauer gerne glauben
möchten, es gebe eine perfekte Spur. Aber in der Praxis funktioniert das selten.
In Kurven wäre es deutlich günstiger, innen zu laufen, doch die aufgemalte Linie
führt oft großräumiger außen herum - schlicht weil das Fahrzeug es technisch
nicht anders schafft. Auch international gibt es Anekdoten: In Sydney verlief
die Linie einst quer über die Harbour Bridge, Autofahrer hielten sie für eine
Fahrspur. In London musste eine falsch gezogene Linie übermalt werden, weil sie
die Läufer beim Start in eine gefährliche Engstelle geführt hätte. Und beim
London Marathon der 1980er Jahre wurde die Linie bewusst so angepasst, dass sie
nicht an den Verpflegungsstationen vorbeiführte.
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Die Ideallinie beim
Düsseldorfmarathon im Jahre 2008: Die Blaue Linie soll den kürzesten Weg
aufweisen. Die von Laufen-in-Koeln eingezeichnete Grüne Linie gibt die
leicht verblasste Straßenmarkierung aus dem Vorjahr wieder. Die Rote
Linie zeigt auf, wie die Strecke vermessen wurde. |
Läufer selbst nehmen die Linie
eher als Orientierung denn als Maßstab. "Ich orientiere mich nicht stur an der
Linie", erzählt ein Kölner Marathonläufer. "In den Kurven bringt es nichts,
außen zu bleiben, nur weil die Linie dort langführt. Ich laufe, wo es am
kürzesten ist - und das ist manchmal eben neben der blauen Spur." Veranstalter
wiederum betonen den Wert für das Stadtbild. "Die Linie ist ein Geschenk für die
Fotografen", heißt es etwa in Berlin. "Egal wo man steht - die Bilder wirken
sofort nach Marathon." Dass sie längst auch als Marketing-Element dient, zeigt
die Entwicklung beim Berlin-Marathon, wo die einfache Linie irgendwann zur
dreifachen wurde - eine Hommage an den Hauptsponsor und ein Blickfang für
Millionen Zuschauerbilder.
Historisch gesehen tauchte die
durchgezogene Markierung erstmals bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne
auf - damals in Grün. Seit 1976, den Spielen von Montreal, hat sich Blau
durchgesetzt. Heute gehört die Linie für viele Städte genauso zum Marathon wie
Medaillen, Urkunden oder das Zieltor. Sie ist Teil der Atmosphäre, Symbol und
Markenzeichen zugleich.
Am Ende bleibt die blaue
Ideallinie mehr Symbol als Technik. Sie ist ein ikonischer Wegweiser, mehr fürs
Auge als für die Uhr. Sie verbindet Sport und Stadtmarketing, ist ein Hingucker,
aber keine Garantie für Bestzeiten. Wer clever läuft, nutzt sie als grobe
Orientierung. Doch fürs Publikum, fürs Stadtimage und für das Marathon-Feeling
ist sie unschlagbar.
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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln Fotos: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln
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