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400 Meter: Die härteste Runde der Leichtathletik |
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400 Meter: Die härteste Runde der Leichtathletik
"Eine Stadionrunde. 400 Meter.
Klingt machbar - bis man versucht, sie zu sprinten. Was einfach aussieht, ist in
Wahrheit ein Höllenritt für Körper und Geist. Wer hier triumphiert, gehört zu
den Härtesten im Sport.
Es ist der längste Sprint der
Leichtathletik - und gleichzeitig der brutalste. Die 400 Meter verlangen alles
ab: Schnelligkeit, Ausdauer, Willenskraft. Und vor allem: die Bereitschaft, sich
richtig weh zu tun. Kaum eine andere Disziplin bringt selbst durchtrainierte
Topathleten so an ihre Grenzen - körperlich wie mental.
Die deutsche 400-Meter-Läuferin
Alica Schmidt, eine der bekanntesten Sprinterinnen der Welt, bringt es auf den
Punkt: "Die 400 Meter sind für alle eine Hassliebe. Es ist eine Mischung aus
Sprint und Ausdauer, die man sehr speziell trainieren muss." Und sie weiß, wovon
sie spricht. Ihre persönliche Bestzeit liegt bei 52,21 Sekunden - aber der Preis
dafür ist hoch.
Die Geschichte der 400 Meter: Vom Dauerlauf zum Hochleistungssprint
Die 400 Meter gelten heute als
Sprint - doch das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert wurden sie noch zur
Mittelstrecke gezählt. Man lief sie wie einen taktischen Langstreckenlauf:
verhalten starten, Kräfte einteilen, am Ende beschleunigen. Es galt schlicht als
unmöglich, diese Distanz mit voller Intensität durchzuhalten.
Der Wendepunkt kam mit einem
Mann, der von dieser taktischen Herangehensweise nichts wusste: "Eric Liddell",
ein schottischer Ausnahmeläufer. Bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris
überraschte er alle - und sich selbst. "Ich laufe die ersten 200 Meter so
schnell ich kann. Die zweiten 200 - mit Gottes Hilfe - noch schneller", sagte
er. Und er tat es. Gold über 400 Meter. Danach fiel er regelmäßig in Ohnmacht.
Sein Lauf wurde später sogar in dem oscarprämierten Film "Chariots of Fire"
verewigt.
Was damals eine taktische
Revolution war, wurde zum Standard: Die 400 Meter mutierten von einer
kontrollierten Strecke zu einem kompromisslosen Sprint. Eine neue Ära begann -
mit Weltrekorden, die bis heute ehrfürchtiges Staunen auslösen.
Marita Koch, die deutsche
Ausnahmeathletin aus der DDR, lief 1985 in Canberra eine Zeit, die bis heute
unerreicht ist: 47,60 Sekunden. Ein Rekord, der auch Jahrzehnte später noch wie
in Stein gemeißelt scheint. Bis heute stellt sich die Frage: Wird ihn je jemand
brechen?
Wayde van Niekerk aus Südafrika
sorgte 2016 für das nächste historische Kapitel: In der Außenseiterbahn 8
sprintete er bei den Olympischen Spielen in Rio zu einer neuen Bestzeit -
"43,03 Sekunden". Kein Geringerer als Michael Johnson, selbst
400-Meter-Legende und langjähriger Weltrekordhalter, kommentierte: "Das war
unmenschlich."
Die Geschichte der 400 Meter
ist also nicht nur eine Geschichte des Leidens - sondern auch eine des Wandels.
Taktik wurde durch rohe Geschwindigkeit ersetzt. Die Disziplin entwickelte sich
vom konservativen Dauerlauf zur explosiven Belastungsprobe. Und bis heute gilt:
Wer hier bestehen will, braucht mehr als nur Tempo - er braucht Geschichte im
Blut.
Die drei Phasen der Qual
Was macht diese Distanz so
extrem? Es ist die Art, wie der Körper Energie bereitstellt - oder eben nicht
schnell genug nachliefern kann.
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Phase 1 - Der
Raketenstart:
In den ersten Sekunden
nutzt der Körper gespeichertes ATP und Kreatinphosphat. Das sorgt für
explosive Power - aber nur für etwa zehn Seku
nden. Dann ist der Turbo leer. |
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Phase 2 - Das
Laktat-Feuer:
Die nächste
Energiequelle ist die sogenannte anaerobe Glykolyse. Dabei wird Zucker
ohne Sauerstoff abgebaut - das Ergebnis: Laktat. Was folgt, kennen alle
Sprinter: ein höllisches Brennen in den Beinen. Die Muskeln übersäuern,
der Körper schreit nach Entlastung - doch das Rennen ist erst halb
vorbei. |
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Phase 3 - Der
Überlebensmodus:
Der aerobe Stoffwechsel
könnte jetzt helfen - doch der ist zu langsam. Also läuft der Körper im
Notfallprogramm weiter. Wer jetzt noch einen Schlussspurt schafft, hat
nicht nur Talent, sondern auch eine beängstigende Schmerzresistenz. |
Ein Lauf gegen den Körper
"Es fühlt sich so an, als würde
man am Ende nur noch durch die Hölle gehen", sagt Alica Schmidt. Kein Wunder:
400-Meter-Sprinter erreichen Laktatwerte, die man sonst nur bei medizinischen
Belastungstests sieht. 20, 25 Millimol pro Liter - Werte, bei denen andere schon
lange ausgestiegen wären. Krämpfe, Übelkeit, völlige Erschöpfung - keine
Seltenheit im Zielbereich.
Und doch: Die Besten meistern
genau das. Der Südafrikaner Wayde van Niekerk etwa - sein Weltrekord: 43,03
Sekunden. Ein Schnitt von 10,76 Sekunden pro 100 Meter - ohne eine einzige
Pause. Bei den Frauen hält Marita Koch aus der ehemaligen DDR mit sagenhaften
47,60 Sekunden bis heute den Weltrekord.
Kein Platz für Fehler
Was den 400-Meter-Sprint so
einzigartig macht, ist seine Präzision. Wer zu schnell angeht, geht hinten ein.
Wer zu langsam startet, hat keine Chance. Jede Kurve, jeder Schritt, jede
Entscheidung muss sitzen. Der kleinste Fehler wird bestraft - mit einem völligen
Energie-Kollaps.
Eric Liddell, Olympiasieger von
1924, formulierte seine Taktik einst so: "Ich laufe die ersten 200 Meter so
schnell ich kann. Die zweiten 200 - mit Gottes Hilfe - noch schneller." Damals
wurde er nach dem Zieleinlauf regelmäßig ohnmächtig. Heute weiß man: Diese
Disziplin ist kein normaler Lauf. Sie ist ein Grenzgang.
Die härteste Disziplin?
Für Alica Schmidt steht fest:
"Im Wettkampf tun die 400 mehr weh als die 800 Meter." Wer das einmal erlebt
hat, versteht auch warum. Es ist kein Rennen - es ist ein innerer Kampf, eine
Zerreißprobe zwischen Tempo, Technik und purer Leidensfähigkeit.
Wer die 400 Meter meistert,
gehört zu den Härtesten, die die Leichtathletik zu bieten hat. Denn hier geht es
nicht nur ums Laufen - sondern darum, sich selbst zu besiegen.
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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln
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