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Warum wir "zu steil anfersen" (und damit ins Leere laufen)
 
 
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13.10.2025  

 
 


Warum wir "zu steil anfersen" (und damit ins Leere laufen)

 
Viele ambitionierte Läuferinnen und Läufer integrieren das sogenannte "Anfersen" regelmäßig ins Lauf-ABC. Im Training wird die Ferse dabei mit der Absicht gezogen, möglichst nah an das Gesäß zu kommen - häufig so, dass der Oberschenkel dabei nahezu senkrecht bleibt und der Unterschenkel "von hinten heran schwingt". Doch diese Variante ist in Wahrheit nicht nur ineffizient, sondern potenziell kontraproduktiv.
 
Tatsächlich lehrt uns die Biomechanik, dass ein sinnvoll ausgeführtes Anfersen idealerweise mit waagerechtem Oberschenkel verlaufen sollte - also die Ferse indirekt unter dem Gesäß ("unter dem Hintern") ansetzt, nicht direkt von hinten herangezogen wird. Wenn Läufer hingegen die Bewegung mit senkrechtem Oberschenkel ausführen, so lehren sie ihrem Körper im Grunde eine rückwärtsgerichtete, ineffiziente Schwungbeinführung, die kaum in den eigentlichen Laufzyklus integriert werden kann.
 
Mit diesem provokativen Ansatz lohnt sich ein genaues Hinsehen: Ist das "gängige Anfersen" in der Läuferpraxis wirklich nutzbringend - oder eher ein Mythos mit gefährlichem Beigeschmack?
 
Das klassische Bild: Anfersen mit senkrechtem Oberschenkel
 
Zunächst ein Blick auf die traditionelle Übungsschreibweise:
  
- In vielen Trainingsanleitungen wird beschrieben, dass beim Anfersen die Unterschenkel "abwechselnd zum Gesäß" gezogen werden.
- Der Fokus liegt meist darauf, die Ferse möglichst dicht ans Gesäß zu bringen - was viele dazu verleitet, das Schienbein von hinten her anzuschwingen, während der Oberschenkel steil nach oben ragt.
- Eine solche Ausführung kann visuell eindrucksvoll wirken, suggeriert Kraft und Dynamik - doch sie hat erhebliche Tücken.
 
Warum diese Variante problematisch ist
   
1. Langer Hebel - hoher Kraftbedarf
 
Wenn das Bein gestreckt (oder nur leicht gebeugt) nach hinten schwingt, entsteht ein langer Hebel. Die Hüftbeugemuskulatur (Iliopsoas, Rectus femoris) sowie der vordere Oberschenkel müssen mehr Arbeit leisten, um das Bein wieder nach vorne zu führen. Datasport etwa betont: je mehr das Knie gebeugt ist, desto kürzer der Hebel und desto ökonomischer das Nach-vorne-Ziehen des Spielbeins.
2. Falsche Rekrutierung - Hamstrings als Zugmaschine
 
Läufer, die aktiv "die Ferse zum Gesäß ziehen", neigen dazu, ihre ischiokruralen Muskeln (Hamstrings) übermäßig früh und isoliert anzusteuern. Aber in einem effizienten Laufzyklus sollten Hamstrings primär in der Abschwung- und Bodenreaktionsphase wirken, nicht als aktive Pull?Bewegung im Spielbein. BigRedRunning warnt explizit davor, dass eine aktive Pull?Bewegung nicht dem natürlichen Rollen im Lauf entspricht und zu verfrühtem Ermüden der Hamstrings führen kann.
3. Falscher Bewegungsimpuls im Laufzyklus
 

Der Wiederanschluss des Schwungbeins gehört idealerweise in den natürlichen Bewegungsrhythmus des Laufens - mit einem Pendel-ähnlichen Nach-vorne-Führen und weniger aktivem Zurückziehen. Manche Lauftrainer kritisieren, dass das klassische Butt?Kick-Drill (Anfersen) gerade durch seine Rückwärtstendenz den Läufern beibringe, ihre Füße zu weit hinter dem Körper zu führen - was sich negativ auf die Erholungsphase auswirken kann.
4. Verletzungs- und Belastungsrisiken
 
Eine Überbelastung der Hamstrings oder irritierende Zugkräfte im hinteren Oberschenkelbereich sind potentiell möglich, wenn immer wieder aus zu großer Rückführung gearbeitet wird. Im Leistungssport und bei schnellen Läufen wird oft beobachtet, dass Läufer mit stark ausgeprägtem "Butt-Kick" eher zu Fehlbelastungen neigen.

Alles zusammengenommen: Das gängige Anfersen mit senkrechtem Oberschenkel kann in Trainingsdrills zwar spektakulär aussehen, aber physiologisch und mechanisch kaum nachhaltig wirksam sein. Es wirkt beinahe "aus dem Zusammenhang gerissen" und lässt den Drill für viele Läufer ins Leere laufen.
 
Die sinnvolle Alternative: Anfersen mit waagerechtem Oberschenkel
 
Wenn wir Anfersen als Lauf-ABC-Übung beibehalten wollen - was durchaus seine Berechtigung hat -, dann sollte die Bewegung idealerweise so aussehen:
 
- Der Oberschenkel bleibt ungefähr waagerecht oder geringfügig darüber, während das Schienbein (Unterschenkel) angeführt wird.
- Die Ferse nähert sich in diesem Fall in einem sanften Bogen dem Gesäß, idealerweise mit einem Winkel, in dem das Ganze eher an "Schließen unter dem Hintern" erinnert denn an ein rückwärtiges Ziehen.
- Diese Variante ist näher an der natürlichen Schwungbeinführung und lässt sich besser in den Laufzyklus integrieren - das Spielbein kommt aktiv nach vorne, die Beugung reduziert den Hebel, und der Bewegungsablauf bleibt flüssiger.
 
Diese Idee stützt sich auch auf Hinweise in der Trainingspraxis:
 
- In einem Unterrichtsmaterial des Erasmus-Projekts "Outdoor Athletics" wird explizit festgehalten: Beim Anfersen soll der Oberschenkel waagerecht gehoben werden, der Unterschenkel entspannt hängen, nicht "angeferst" werden.
- Damit verschiebt sich der Fokus weg vom aktiven Ziehen hin zu einer pendelartigen und ökonomischen Schwungbeinbewegung, die sich mit dem natürlichen Lauf verbindet.

Vorteile dieser Variante:
 
Vorteil Wirkung
Kürzerer Hebel Geringerer Kraftaufwand für das Nach-vorne-Führen des Beins
Natürlicher Bewegungsfluss Bessere Integration in den Laufzyklus - weniger Kollision mit der Motorik des Laufens
Geringere Belastung für Hamstrings Weniger exzentrische Zugspannung durch aktives Ziehen
Neuromuskuläre Übertragung Technikübungen wirken eher im Sinne eines Transfers auf das Laufverhalten


Einbettung ins Lauf-ABC und sinnvolle Übungsdosierung
 
Es ist keineswegs so, dass das Anfersen komplett verteufelt werden müsste - richtig dosiert und technisch angepasst kann es einen Platz im Lauf-ABC behalten:
 
- Nutze es primär als Koordinations- und Aktivierungsübung - etwa als Warm-up vor intensiverem Training oder als Bestandteil technikorientierter Einheiten.
- Führe das Anfersen langsam und kontrolliert aus, bevor du die Frequenz steigerst. So kann die Technik sauber verankert werden. (Das entspricht auch der Empfehlung bei klassischen Lauf-ABC Anleitungen.)
- Achte darauf, nicht über das Ziel hinauszuschießen: Der Zweck ist nicht, möglichst spektakulär oder hoch zu treten, sondern eine saubere Bewegung zu verankern.
- Ergänze das Anfersen mit anderen Lauf-ABC-Elementen (Skippings, Hopserlauf, Anfersen-Variationen) und mit Techniktrials im Lauftempo, damit eine Brücke zum echten Lauf entsteht.
 



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Autor und Copyright: Detlev Ackermann, Laufen-in-Koeln


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